Versammlungen: Ritualisierung und zeichenhafte Darstellung politischer Willensbildung im Vergleich

Versammlungen: Ritualisierung und zeichenhafte Darstellung politischer Willensbildung im Vergleich

Organisatoren
Sonderforschungsbereich 619 "Ritualdynamik", Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Ort
Heidelberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.11.2007 - 17.11.2007
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Von
Maria von Loewenich, Westfälische Wilhelms-Universität

Die Tagung „Versammlungen: Ritualisierung und zeichenhafte Darstellung politischer Willensbildung im Vergleich“ am 16. und 17. November 2007 wurde gemeinsam von Mitarbeitern des Sonderforschungsbereichs 619 „Ritualdynamik“ (Gerald Schwedler, Paul Töbelmann) und des Historischen Seminars der Universität Heidelberg (Jörg Peltzer) organisiert. Ziel der Tagung war es, sich mit den Formen der politischen Willensbildung vor allem im spätmittelalterlichen Europa auseinanderzusetzen, und zwar insbesondere mit dem Zusammenhang von politischem Inhalt und äußerer Form auf Versammlungen. Strukturiert wurden die Vorträge durch die Einteilung in drei Bereiche, die jedoch fließend ineinander übergingen. Dabei handelte es sich um die Fragen nach der Produktion und Reproduktion politischer Strukturen, der Inszenierung von Entscheidungsherstellung sowie der Repräsentation als Stellvertretung von etwas oder von jemandem. Hinsichtlich des Untersuchungsgegenstandes konzentrierten sich die Beiträge vor allem auf die Hof- bzw. Reichstage des Heiligen Römischen Reichs, die französischen Generalstände sowie die Konzilien bzw. das päpstliche Konsistorium.

Dem ersten Bereich, der Produktion und Reproduktion politischer Strukturen, widmete sich vor allem JÖRG PELTZER (Heidelberg) in seinem Beitrag über die Sitzordnung auf den Hoftagen des 13. und 14. Jahrhunderts. Am Beispiel des Streites zwischen den Erzbischöfen von Mainz und Köln, wer auf den Hoftagen rechts neben dem König sitzen durfte, legte er dar, dass sich auf diesen die einzige Gelegenheit geboten habe, die Rangordnung des Reiches zu visualisieren. Diese sei zunächst noch im Fluss gewesen, weshalb die Fürsten nur durch persönliche Anwesenheit ihren Rang hätten verteidigen bzw. verbessern können. Im Zuge der Entwicklung zur Goldenen Bulle habe sich die Darstellung des Reiches dann allerdings auf den König und die Kurfürsten verengt. Dieses Modell habe sich aber nicht als dauerhaft erwiesen, entwickelte sich doch am Ende des 15. Jahrhundert der Reichstag mit drei Kurien.
Im Kontrast zu diesem Verfahren interkurialer Einigung, stellte NEITHARD BULST (Bielefeld) anhand der Repräsentation und Ordnung auf den französischen Generalständen des späten Mittelalters dar, welche Konsequenzen sich ergaben, wenn der König bei den Beratungen im Mittelpunkt stand.

In Bezug auf den zweiten Bereich, der Inszenierung von Entscheidungsherstellung, beschäftigte sich ANDRÉ KRISCHER (Münster) mit der innerkurialen Willensbildung der Städtekurie auf dem Immerwährenden Reichstag. Er legte dar, dass bei der „Darstellung der Herstellung“ von Entscheidungen neben der expliziten auch die implizite Symbolik beachtet werden müsse. So habe die ältere Forschung die Reihenfolge des innerkurialen Votierens gemäß des Rangs als Vorteil in der Beeinflussung des Ergebnisses für Ranghöhere gesehen. Analysiere man aber die Protokolle der Städtekurie, so werde deutlich, dass gerade die ersten Voten stets sehr vage geblieben und wenig meinungsbildend gewesen seien. Dies liege daran, dass die Meinungsbildung in der Kurie auf Konsens angelegt gewesen sei und Minderheitsmeinungen als unmoralisch empfunden worden seien.
GERALD SCHWEDLER (Heidelberg/Zürich) kam in seinem Vortrag über die Entscheidungsfindung auf dem Koblenzer Hoftag von 1338 zu ähnlichen Ergebnissen. So sei der inszenierte Konsens als Prinzip zu verstehen, bei dem eine Minderheit sich nach deutlich werdendem Übergewicht der Mehrheit angeschlossen habe. Wichtig sei hierbei gewesen, dass durch das Nachgeben sich keine dauerhaften Nachteile für die eigenen Interessen ergeben hätten, sondern dass eine „vertagte Gegenleistung“ zu erwarten gewesen sei. Die Darstellung bereits getroffener Entscheidungen hatten dagegen die Beiträge von JÜRGEN DENDORFER (München) und NICOLAS OFFENSTADT (Paris) zum Thema. Dendorfer führte in Bezug auf die Konzilien des 15. Jahrhunderts aus, dass das Konzil von Basel zwar die Art, Entscheidungen zu treffen, verändert, es aber an der Form früherer Konzilien festgehalten habe, Entscheidungen im Rahmen der sessio generalis als einstimmig getroffen und vom Heiligen Geist inspiriert darzustellen. Dadurch sei versucht worden, den Legitimationsschwierigkeiten des Konzils von Basel zu begegnen und es seinem Selbstverständnis entsprechend als Verkörperung der gesamten Kirche darzustellen. Offenstadt nahm in seinem Referat dagegen die Vermittlung der im Pariser Parlament getroffenen Entscheidungen in den Blick. Diese seien zunächst im Parlament selbst verlesen und anschließend an verschiedenen öffentlichen Plätzen durch Ausrufer verkündet worden. So sei ein öffentlicher Raum geschaffen worden.

Im Rahmen des dritten Bereichs, der Repräsentation als Stellvertretung von etwas und von jemandem, legte PAUL TÖBELMANN (Heidelberg) dar, dass durch die auf den Hoftagen des späteren Mittelalters betriebene Prachtentfaltung (apparatus) die Ordnung und die Würde des Reiches erfahrbar gemacht worden seien. Den Fluchtpunkt habe dabei der Herrscher gebildet, der unter anderem durch die Reichsinsignien hervorgehoben worden sei. Aber auch dieser habe sich nur durch die Anwesenheit der Kurfürsten und Fürsten in Abgrenzung zu diesen als Herrscher inszenieren können. ACHIM HACK (Regensburg) beschäftigte sich anhand des Zeremoniale des Agostino Patrizi Piccolomini mit dem Zeremoniell und der Inszenierung des päpstlichen Konsistoriums im Spätmittelalter. So legte er am Beispiel der Empfänge hochgestellter Persönlichkeiten im Konsistorium dar, dass dieses zwar die Besucher nach Rang gestaffelt mit den höchsten Ehren empfangen und auch entsprechend ihrem Rang zwischen den Kardinälen im Konsistorium platziert habe, jedoch zugleich mit seinen Amtsgeschäften fortgefahren und sich so als oberste kirchliche Jurisdiktionsgewalt dargestellt habe.

JÜRGEN MIETHKE (Heidelberg) zeichnete im Rahmen eines großen Überblicks über die Geschichte der Synoden und Konzilien im Mittelalter die Entwicklung des Konziliarismus nach. So schien sich nach dem Konzil von Konstanz die Auffassung durchgesetzt zu haben, dass ein Konzil auch ohne den Papst die gesamte Kirche repräsentieren könne. Nach dem Scheitern des Konzils von Basel sei jedoch dem hierarchischen Modell der Siegeszug gelungen. GABRIELE ANNAS (Frankfurt am Main) widmete sich in ihrem Beitrag der Vertretung von Fürsten durch Gesandte auf den Hoftagen des späteren Mittelalters. Anhand der Diskussion darüber, ob der Gesandte eines Fürsten beim Hoftag dessen Stelle im Zeremoniell einnehmen dürfe, führte Annas aus, dass sich die Vorstellung der Repräsentation eines Fürsten durch seinen Gesandten von der Stellvertretungsrepräsentation im Zuge des 16. Jahrhunderts zur Identitätsrepräsentation gewandelt habe, wodurch die Gesandten später die Stellung ihrer Fürsten im Zeremoniell hätten einnehmen können. JÖRG FEUCHTER (Berlin) beschäftigte sich mit den Reden bei den französischen Generalständen im Spannungsfeld von Persuasion und Deliberation. Die Parteien hätten bestimmte, ihnen als besonders geeignet erscheinende Redner ausgewählt, um ihre Interessen angemessen präsentieren zu lassen. Während das Scheitern der Durchsetzung der Interessen einer Partei der mangelnden Überzeugungskraft des Redners angelastet worden sei, sei auch die Inszenierung einer scheinbaren Auseinandersetzung mit dem Gegner möglich gewesen. Und ein zu starkes Bemühen um Konsens mit der Gegenpartei habe zur Annullierung der Rede durch die jeweilige Partei führen können.

MARTIN KAUFHOLD (Augsburg) meldete in seinem Vortrag über Entscheidungsspielräume im Spannungsfeld von Repräsentation und Ritual Zweifel an der Bedeutung von symbolischen Handlungen an. Anhand des Konzils von Konstanz, des Kurfürstenkollegs und des englischen Parlaments, führte er aus, dass stets erst dann, wenn die jeweilige Versammlung von ihrer politischen Relevanz entlastet worden sei, sich die Teilnehmenden stärker der „kommunizierenden Ritualisierung ihrer Umgangs- und Verfahrensformen“ hätten widmen können.

Insgesamt bot die Tagung wertvolle Einblicke in die verschiedenen Formen vormoderner politischer Willensbildung, bot aber auch Anlass zu vertiefter Diskussion über die den Analysen zugrunde liegenden Methoden und Begrifflichkeiten. Während so etwa im Heidelberger Sonderforschungsbereich ein weiter gefasster Ritualbegriff verwendet wird, der auch solche ergebnisoffenen und institutionalisierten Prozesse wie Entscheidungsfindungen erfasst, wurde seitens einiger Teilnehmer die Differenzierung von „Ritual“ und „Verfahren“ als zwei unterschiedlicher Formen politischer Willensbildung vorgeschlagen. Gerade die konstruktiv-kontrovers geführte Debatte über den letztgenannten Aspekt machte die Tagung über interessante Einzelaspekte hinaus sehr anregend.

Konferenzübersicht:

Bernd Schneidmüller (Heidelberg): Einleitung
Gerald Schwedler, Paul Töbelmann, Jörg Peltzer: Einführung in das Thema und den Aufbau der Tagung

Sektion I
Jörg Peltzer (Heidelberg): Das Reich ordnen. Wer sitzt wo auf den Hoftagen des 13. und 14. Jahrhunderts
André Krischer (Münster): Inszenierung und Verfahren auf den Reichstagen der Frühen Neuzeit: Das Beispiel der Städtekurie
Neithard Bulst (Bielefeld): Repräsentation und Ordnung auf französischen Generalständen des späten Mittelalters
Jürgen Miethke (Heidelberg): Formen der Repräsentation auf Konzilien im Mittelalter

Sektion II
Gerald Schwedler (Heidelberg): Formen und Inhalte: Entscheidungsfindung auf Hoftagen im späten Mittelalter
Stephan Selzer (Halle): Farbwahl und Macht. Kleidung, Symbole und Heraldik fürstlicher Besucher auf spätmittelalterlichen Reichsversammlungen (entfallen)
Nicolas Offenstadt (Paris): Espace public et espace sonore à la fin du Moyen Age: Cris et publications au Parlement de Paris et au Palais
Jürgen Dendorfer (München): Inszenierung von Entscheidungsfindung auf den Konzilien des 15. Jahrhunderts

Sektion III
Martin Kaufhold (Augsburg): Entscheidungsspielräume im Spannungsfeld von Repräsentation und Ritual
Paul Töbelmann (Heidelberg): Formen der Repräsentation. Personen, Handlungen, Objekte
Gabriele Annas (Frankfurt am Main): Repräsentation, Sitz und Stimme. Zur fürstlichen Stellvertretung auf Reichsversammlungen des späten Mittelalters
Jörg Feuchter (Berlin): Oratorische Repräsentation auf den französischen Generalständen im späteren Mittelalter
Achim Hack (Regensburg): Zeremoniell und Inszenierung des päpstlichen Konsistoriums im Spätmittelalter
Stefan Weinfurter (Heidelberg): Zusammenfassung


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